Sven Grünwitzky, 2012
Wohnwabe als Photomodell. Hein Spellmanns hybride Stadtplastik.
Stadt als Bildspender
Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen. Neunzig Jahre nachdem Le Corbusier mit dem beiläufig erfolgten Begriffsentwurf der Wohnmaschine die funktionelle Neuordnung urbanen (Über-)Lebens umriß, hat sich seine Wortneuschöpfung zu einer Generalmetapher der Ambivalenz städtischer Funktionalisierungsprozesse verselbstständigt. Unüberhörbar scheint uns in diesem Zusammenschluß heute das Entmenschlichte der Apparatur auf. Dagegen ist der euphorische Gestus, wachsendem Wohnraumbedarf mit entschiedener Raumeffizienz und der beschleunigten Mobilisierung des Lebens mit gebauten Utopien zu antworten, abgekühlt, wenn nicht erloschen. Irgendwann war die Utopie mobiler Ortlosigkeit in eine Trostlosigkeit realer Immobilien übergegangen. Alexander Mitscherlich hatte mitten im betonwütigen Wiederaufbau der kriegsbedingt bauflächenreichen Bundesrepublik schon 1965 die Unwirtlichkeit unserer Städte beklagt. Und über den industrialisierten Städtebau des sozialistischen Wohnungsbauprogramms -kurz der Platte sprach Heiner Müller in unübertroffener lakonischer Schärfe nur als Fickzellen mit Fernheizung.
In diesem weiten Spannungsrahmen zwischen den revolutionären Momenten triumphaler Modernität und der Tristesse der Trabantenstädte ist die künstlerische Arbeit von Hein Spellmann verankert. Als sich in den Nachwendejahren die ostdeutschen Städte allmählich entsiedelten und die Plattenbausiedlungen im Begriff standen zu großflächigen Monumenten des Scheiterns zu verkommen, wurden die standartisierten Wohnraumcontainer der städtischen Peripherie zu Spellmanns bevorzugtem Bildlieferant. Anders als es durch die Geschichte der Photographie, die eng mit den pulsierenden Großstädten der Moderne aber auch mit der Dokumentation von Architektur verbunden ist, nahe gelegen hätte, ging es Spellmann von Beginn an nicht um eine vordergründige Mimesis. Schon bei der photographischen Aufnahme löst er einzelne Serienbauteile aus ihrem ursprünglichen Gebäudezusammenhang heraus. In aller Regel zeigen die so isolierten Baukörperfragmente ein Fenstersegment oder ein Fensterband, die in der strikten Frontalität ihrer Aufnahme der grundlegenden Bildstragie der Bechers, und deren Schülern Andreas Gursky und Thomas Ruff ähneln. Anders als bei diesen zeitgenössischen Photographen ist für Spellmann die photographische Erschließung des Bildelementes aber nur ein Durchgangsstadium bei der umfassenden Transformation realer Architektur in hybride Bildobjekte. Den photographischen Abzug der Gebäudeaußenhaut löst Spellmann nämlich von seinem Bildträger, und zieht dann die abgelöste, hauchdünne Photohaut auf einen auf Holzrahmen montierten und mit Schaumstoff aufgepolsterten Bildkörper, den er abschließend mit klarsichtigem Silikon versiegelt. Im Ergebnis entstehen kissen- oder stäbchenförmige Module, deren abgerundete, griffige wie elastische Form der Flachheit des Photographischen einen neuen Körper verleihen. Den Anschein gebrauchsfreie Designobjekte zu sein, unterstreicht Spellmann mit Werktiteln wie QP64, Bürohaus(Hannover), Fassade 179 oder Fassade PT15 , die an Produktserienbezeichnungen erinnern sollen. Spellmann nutzt für seine Objekte die von den photographierten Motiven vorgegebenen Fassadenstrukturen, um diese in eigengesetzliche bildpoetische Gebilde zu überführen. Die ausgelösten Gebäudeteile unterliegen dabei einer strengen Bildstatik, in der durchgegliederte Flächenrhythmisierung mit ausbalancierten Farb-und Materialaspekten ineinanderwirken. Keineswegs zufällig nehmen diese in ihrer bildlichen Ordnung Bezug auf Ikonen der Moderne wie Malevich oder Mondrian. Sie errichten aus der Architekurphotographie heraus eine autonome Bildwirklichkeit, die eine ästhetische Grundordnung von geradezu klassicher Modernität beibehält, wie sie auch von Walter Gropius früh für das Neue Bauen formuliert wurde: exakt geprägte Form, klare Kontraste, ordnende Glieder, Reihung gleicher Teile und Einheit von Form und Farbe.
Orte ohne Erinnerung. Die narrativen Reste des Photographischen
In der sich ständig wandelnden Landschaft des Städtischen sind alle Orte vergänglich. Die Neigung der Photographie zum Bild der Großstadt mag auch in dem mnemosynisch entstehenden Bewahrungsbedürfnis innerhalb eines Feldes verstetigten Umbruchs begründet liegen. Die Spezifik ihres Mediums verbindet sie mit dem, was da war. Unabhängig von ihrem dokumentarischen, wissenschaftlichen oder anekdotischen Gebrauch führt sie immer auf diesen Moment der Aufnahme und auf das in ihr Aufgenommene zurück. Sie schließt die Zeit ein, das Vertraute in ihr und das Fremde.
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Das in ihnen verhandelte Verhältnis von Bild, Architektur und Körper, von Aussenhaut und Innenraum wird dabei von der verfremdenden Machart seiner hybriden Bildplastiken regelrecht körperlich unterfüttert und aufgepolstert, was der photographischen Elementartechnik des Ausschnitts eine forcierte Wucht und unmittelbare Körperlichkeit verleiht. Im Fenstermotiv wird dies zudem in einem exemplarischen Bedeutungsrahmen zusammengefasst.
….kompletter Text mit Abbildungen : www.qjubes.com/…/hein-spellmann-wohnwabe-als-fotomodell-hybride-stadtplastik-k…